„IL SOLE RIDE“ – Vergessene Schätze italienischer Liedkunst (Der neue Merker 04/2018)

Es war ein ganz besonderes Programm, das die Sopranistin Olga Blanco zusammen mit dem Pianisten Marco Micheletti in den Räumen der Online-Merker Redaktion (1120 Vien, Zeleborgassse 20) offerierte: italienische Lieder, die für große Sänger der Vorkriegszeit entweder extra geschrieben oder von diesen gerne gesungen wurden – bis auf Paolo Tosti, Alfredo Catalani, Riccardo Zandonai und Francesco Cilea heute weitgehend unbekannte Namen, die den Untertitel des Abends „Tesori nascosti“ / ,,unbekannte Schätze“ durchaus verdienten!

Die beiden Künstler, die temperamentvolle Spanierin aus Valencia und der Liedbegleiter und Klavierlehrer aus Bologna, beide wohnhaft in Wien, haben unzählige Recherchen in Wiens Musikbibliotheken und andernorts unternommen, um diese Schätze zu heben. Etwa die Hälfte ihrer Funde bekamen wir an diesem Abend zu hören. Es handelt sich dabei durchwegs um sehr schöne, gut singbare Texte, zu etwa 80% schwermütige Liebeslieder, überwiegend solche, die von einer Frau an einen Mann gerichtet sind, aber auch männliche Liebesbeteuerungen und, vor allem als Draufgabe, Heiteres und Lebenssprühendes.

Der dramatische Sopran von Olga Blanco (sie singt von Mozarts Contessa und Fiordiligi über Giovanna d’Arco und Aida bis zu Tosca und Manon Lescaut so ziemlich das gesamte italienische Repertoire) verlieh allen Liedern viel Intensität, die sich, wie etwa bei „Non è ver“ (Tito Mattei, 1841-1914) ins Ariose steigerten, während die vortrefflich lockere Klavierbegleitung dafür sorgte, dass das liedhafte Schwelgen in Gefühlen nicht zu kurz kam und auch den einen oder anderen scherzhaften Aspekt zuließ.

Das erste dargebotene Lied „Povera Lina“ von Francesco Capponi (1840 – 1900), bestehend aus 3 8-zeiligen Strophen über das liebeskranke Mädchen, die nach Vergleichen mit verblühenden Blumen, versagender Sprache und zu anstrengendem Singen, jeweils mit den Worten „Ah, povera Lina, in mezzo al cor piagata!“ enden, wurde gern von Magda Olivero, eine der Lehrerinnen von Olga Blanco, gesungen (an deren Manon Lescaut an der Seite des jungen Plácido Domingo in der Arena di Verona 1970 ich mich sehr genau erinnere – damals war sie 60 und wurde bekanntlich 104!). Andere dieser Lieder hörte man oft von Stützen des italienischen Belcanto wie Caruso, Gigli, Tito Schipa oder Amelita Galli-Curci.

Titel wie „Fiore che langue“ (Augusto Rotoli, 1847-1904),), „Visione“ (Tosti), „Perché?“ (Giovanni Sgambati, nach Heine), „Senza baci“ (Catalani, 1853-1893), „Rime smarrite“ (Renato Bellini, 1895-1944, nicht verwandt mit Vincenzo), „Mistero“ (Zandonai, 1883-1944), „Lontananza“ (Cilea, 1866-1950) oder „Baciami!“ (Arturo Buzzi-Peccia, 1854-1945) mögen für sich sprechen. Sie haben alle hohe musikalische Qualität. Ja, wir hörten die Sonne lachen, wie es in Tostis „Visione“ („Il sole ride“) heißt, während es draußen in Meidling regnete…

Ein Programm, das nach Wiederholung an anderen Spielstätten ruft!

Sieglinde Pfabigan (Der neue Merker, 04/2018)